Fundamentalismus – eine Herausforderung für die Demokratie?

Gast: Jörg Pegelow, Pastor, Leiter der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Nordkirche
Moderation Helmut Stubbe da Luz / Tanja Trede-Schicker
8. Oktober 2024, Klub am Besenbinderhof

„Fundamentalismus“ klingt nicht gut. Schnell ergibt sich aus dem Wort die Gedankenverbindung zu einem hartnäckigen, geradezu unbelehrbaren, sektiererischen Beharren auf einem stahlharten Fundament aus Glaubenssätzen. Es gibt gute Gründe, Fundamentalismus abzulehnen, aber ist „Herausforderung für die Demokratie“ nicht übertrieben?
Helmut Stubbe da Luz wies in seiner kurzen Einführung darauf hin, dass mit „Fundamentalismus“ – zunächst einmal und ganz allein – jenes hartnäckige Beharren gemeint sein kann, und zwar unabhängig davon, welche Inhalte mit solcher Unbeirrbarkeit vertreten werden. Mit dieser Haltung befassen sich die Gesellschaftswissenschaften und die Psychologie: Unter welchen Umständen werden Menschen zu Fanatikern?
Sodann zu den Inhalten: Häufig (nicht immer!) werde „Fundamentalismus“ für bestimmte Varianten einer Ablehnung all dessen verwendet, was gemeinhin gerade als „modern“ gilt. Mit den vorgebrachten Behauptungen befassen sich die Philosophie und die (anderen) Wissenschaften.
Zusammengenommen also sei es verbreitete (nicht alleinige!) Vorstellung, dass es sich bei „Fundamentalisten“ um geradezu besessene Gegner oder gar Feinde bestimmter gesellschaftlicher, speziell politischer Entwicklungen im Gefolge der Aufklärung handele.

Der Gast des Abends ließ schnell erkennen, wie gut er sich in besonderer Weise mit Weltanschauungsgemeinschaften auskennt, die angeblich oder tatsächlich religiös ausgerichtet sind, sektiererisches Verhalten an den Tag legen und bei Mitgliedern und Anhängern einen entsprechenden Beratungsbedarf erzeugen können (wie beispielsweise die südkoreanische Sekte „Shincheonji“): „Worauf ist man da hereingefallen?“ – „Wie kommt man da wieder heraus?“ – „Wie schafft man es, hinterher unbehelligt zu bleiben und sich seelisch und geistig wiederherzustellen?“ Jörg Pegelow, Pastor in der Nordkirche, befasst sich mit Theorie und Praxis konkurrierender Glaubensgemeinschaften und -lehren.
Jörg Pegelow machte in Kurzvortrag und Diskussion deutlich, worin er die Hauptmerkmale des Modells „Fundamentalismus“ erblickt: Fundamentalisten, religiöse und nichtreligiöse, sind demnach insbesondere solche Menschen und Gruppen, denen der gesellschaftliche Wandel in den „westlichen Ländern“ zu rasch und zu intensiv abläuft. Dieser Wandel, so behaupten sie, ginge in eine ganz falsche Richtung und erzeuge Zustände, die weitgehend undurchschaubar wären.
Inhaltlich setzten Fundamentalisten demgegenüber bevorzugt auf religiöse Glaubenssätze oder sonstige Dogmen, auf die Unfehlbarkeit „Heiliger Schriften“, auf eine schwarz-weiß gemalte Trennung von „Gut“ und „Böse“ sowie auf Verschwörungstheorien. Sie lehnten Pluralismus, liberale Demokratie und individuelle Freiheiten oft ab. Krisen und Konflikte böten ihnen Anlass, auf Weltuntergangsszenarien zu pochen und auf eine autoritäre politische Führung, die allein Rettung verspräche.
Stellen solche Menschen, Menschengruppen oder Organisationen nun eine Herausforderung für eine Demokratie dar, zu deren Fundamenten vor allem auch ein ausgeprägter Pluralismus zählt? Das ist wohl kaum bestreitbar, aber wann wird aus der Herausforderung eine Gefahr?
Die Diskussion wollte fast kein Ende nehmen. Als Fazit konnte vielleicht das Folgende gelten: Eine pluralistische Demokratie muss Fundamentalisten aushalten, und zwar auch dann, wenn diese Fundamentalisten sich schwer damit tun, den Pluralismus auszuhalten. Jedoch kann eine Gesellschaft ihren Pluralismus und damit ihre Demokratie nur dann bewahren, wenn die ganz überwiegende Mehrheit einen Minimalkonsens teilt: Die politischen Grundregeln müssen einen Pluralismus garantieren.

Davon profitieren auch Fundamentalisten: Die Gesellschaft toleriert sie, unter Mühen, solange sie sich immerhin noch als ein Teil des Ganzen verstehen und mit gesetzlichen Mitteln kontrolliert werden können. Die Grenze wird dort überschritten, wo bestimmte Fundamentalisten sich nicht nur als Gegner der pluralistischen Demokratie verhalten, sondern als ihre Feinde; wenn sie sich also auf den Weg machen und dazu aufzurufen, sowohl Pluralisten als auch konkurrierende Fundamentalisten auszuschalten.

Die Grenze wird durch das Grundgesetz beschrieben und durch die Auslegung des Grundgesetzes. Da die Auslegung ein immerwährender Prozess ist, bleibt auch die Diskussion erhalten: Ein Pluralismus braucht das breiteste, tiefste und widerstandsfähigste „Fundament“ von allen, aus einem „Material“ zugleich, das nicht völlig starr, sondern in sich beweglich ist.

Helmut Stubbe da Luz

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