6. Rederaum des Säkularen Forums
Helmut Ortner: „Das klerikale Kartell“ (Frankfurt a.m. 2024), Lesung und Diskussion
9. April 2024
Helmut Ortner ist Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung und den Werken Karlheinz Deschners verpflichtet (der zuletzt 10 Bände einer Kriminalgeschichte des Christentums vorgelegt hatte, 1996–2014). Ortner hat in seinem neuen Buch ein vehementes Plädoyer für das Vorantreiben einer – überfälligen – Trennung von Staat und Kirche vorgelegt. Im größeren Zusammenhang betrachtet, mahnt er eine konsequente Fortsetzung der Säkularisation des Staatsapparats an und – was nicht dasselbe ist – eine Beendigung des Kartells vieler Mächtiger im Staat einerseits, in großen Kirchen andererseits.
Seit Jahrhunderten ist dieser Prozess in Westeuropa im Gang und nimmt mal schnelleren, mal langsameren Fortgang. Helmut Stubbe da Luz verwies einleitend auf diesen historischen Rahmen und auch darauf, dass es unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, welches Ausmaß eine solche Trennung annehmen sollte – gewissermaßen auf einer Skala zwischen „0“ und „100“ bildlich zu verorten. Die heutige Politik der Verträge zwischen Staat und Kirchen basiere notwendig bereits auf einer Trennung zwischen beiden Vertragspartnern. Auch weiterhin müssten die sogenannten Res mixtae ausgehandelt werden, die zwischen Staat und Kirchen gemeinsamen Angelegenheiten.
Helmut Ortner klagte in seiner Lesung, garniert mit allerlei Hinweisen auf ganz aktuelle Vorkommnisse und Verhältnisse – eine breite Palette von Tatbeständen an, wie sie im Großen und Ganzen bekannt sind, hier aber mit zahlreichen Details anschaulich gemacht wurden: Es ging nicht allein um Missbrauchsskandale Religionsunterricht und Staatsleistungen, sondern auch um eine Reihe bedeutsamer, vielfach aber in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommener Indizien für die Verquickung von Staat und Kirchen: Warum leistet im Jahre 2024 der neue Erzbischof von Paderborn den Ministerpräsidenten der Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen („dem Deutschen Reich und dem Lande“) einen Treueid gemäß dem 1933 zwischen Vatikan und Deutschem Reich geschlossenen Konkordat? Warum bezieht er sein Gehalt aus der Staatskasse? – Warum erinnerte der Bundespräsident im April 2023 zur Eröffnung der Mannheimer Bundesgartenschau an das biblische, aber auch den beiden anderen abrahamitische Religionen geläufige Bild vom Garten Eden, als an eine „uralte Utopie des Menschen vom guten, vom gelingenden Leben“?
Am Schluss stellte Ortner – absichtlich provokant – die Alternative „Staatskirche oder Rechtsstaat?“ in den Raum.
Die Diskussion entwickelt sich besonders ausführlich an drei Punkten:
- Wie sind die Leistungen der Kirchen im Sinne des – einst revolutionären – Prinzips der „Brüderlichkeit“, also der Solidarität, zu beurteilen?
- Welche Veränderungen sind im Staat-Kirchen-Verhältnis durch die fortgeschrittene Pluralisierung der Glaubensgemeinschaften erfolgt, insbesondere durch muslimische Gemeinden und Verbände?
- Worin bestehen die Unterschiede zwischen einem säkularen Staat und einem laizistischen Staat? Ist das „französische“ Modell als Vorbild geeignet?
Helmut Ortner betonte wiederholt, wie wichtig ihm die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit sei – sowohl in der Bedeutung einer „Freiheit, etwas zu tun“ als auch einer „Freiheit, sich auf etwas nicht einzulassen“.
Helmut Stubbe da Luz